Zu Bildern von Thomas Gentner

Farbe kann sich ausbreiten und zusammenziehen. Farbe ist Schlamm, ist Schleier. Farbe kann schwitzen, sich bewegen, sich winden. Farbe tropft. Eine cremige Masse, kann sie auch gerinnen. Man kann sie wegkratzen, man kann sie hinkratzen. Farbe ist physisch, eine Masse, ein KÖRPER.

Und Farbe ist Luft, Licht. Man nimmt sie kaum wahr, weil sie alles bedeckt, nein: weil sie alles ist. Das Auge sieht keine Gegenstände, es sieht nur Licht, und Licht ist Farbe. Ist der Himmel blau, oder ist nicht vielmehr Blau der Himmel? Farbe ist spirituell, sie ist ein RAUM. Raum geht in die Tiefe, Körper kommen aus der Tiefe. So ist es in der Welt, in der wir leben.

Ein BILD ist eine Vorstellung, ein imaginärer geistiger Raum, der zu einem realen Körper wird. Ein BILD hat vier Ecken (meistens), und das ist der Raum, der die Vorstellung begrenzt, der ihr eine FORM abverlangt.

MALEREI bringt Form hervor. MALEREI ist FORM, FARBE, Vorstellungs-RAUM und Bild-RAUM. Thomas Gentners Bilder leben von der räumlichen Ungewissheit, der unsicheren Situation, in die sie sich begeben.

Angestrebt wird das große traditionelle Ölbild, das, ausgewogen in Farbe und Form, im Stilleben einen vollendeten Ausdruck findet. Man denke an die Blüte des Stillebens im 17. Jahrhundert, an die Forschungen nach dem Bildraum bei Cézanne an die Formerprobungen der Kubisten, an Matisse, der Gegenstände in Arabesken, in abstrakte Muster übensetzte und eine harmonische Dekorativität anstrebt: ein Sessel sollen diese Bilder sein, hat Matisse gesagt.

Thomas Gentners Bilder sind der Versuch dieses Sessels, die Frage, ob solche Bilder noch machbar sind in einer Zeit, in der die Frage nach der Reinheit des Stils nicht mehr gestellt, der Anspruch auf eine altgemeingültige Bildformulierung kaum mehr erhoben wird.

In der Ausstellung sind kleinere und größere Bilder zu sehen. Die kleineren leben aus dem körperlichen Schwung des Malenden, Bewegung schlägt sich als Farb-Bewegung nieder, Form entsteht aus Flecken, Farb-Bahnen und Farb-Linien In den Besten ist die Malerei in Fluß, “Vordergrund” und “Hintergrund”, Körper und Raum vermischen sich.

Anders die größeren Formate: hier scheint der Farbfluß geronnen zu sein, er bildet Inseln, Formstücke, die den Bildraum statisch, werden lassen. Die Flächenformen bewegen sich hier nicht gegeneinander, sondern in sich.

Der Gegenstand in den Bildern ist Auslöser des malerischen Geschehens: Zufluchtpunkt, Angelpunkt und schließlich Ruhepunkt.

In den kleinen verhindert er das Abgleiten ins GestischMatschige und ein Auseinanderdriften der Bewegung. Der Gegenstand gibt Sicherheit. Die größeren Formate verdeutlichen dies noch. Das Motiv, einfache Gegenstände,die sich manchmal im Zusammenspiel zu einem vagen Interieur finden, erscheint als eine Art “Thema”, über das malerisch improvisiert wird.

Ein geschicktes, faszinierendes Spiel: nebeneinander “gekritzelte” Pinselstriche formieren sich zu Schraffur-Feldern, zu fast graphischen Farbgittern, in deren Überlagerung sich die Farben durchdringen. Die Farben werden schmutziger, gedämpfter. Leuchtende Töne wie Orange und Gelb verschränken sich zu atmenden Farbräumen. Dabei kommt es gelegentlich zu leise angedeuteten plastischen Formen, die aus Farbsilhouetten zu wachsen scheinen. Der Gegenstand hält hier zusammen, taucht unter in Farbzonen, kristallisiert sich in Felder, Farbschleier und träge fließende Farbballen. Er verhindert eine Beliebigkeit der Formen, eine dekorative Erstarrung in feste Kompositionsmuster.

Hier, in Thomas Gentners besten Bildern, hat man das Gefühl, Farbe kann sich lichten, kann zerreißen, feine Schleier bilden. Farbe überlappt, durchbricht, löscht aus, löscht fast aus, löscht Echos aus, läßt früher Gemaltes durchscheinen. Man erahnt ein Dahinter, ein früheres, ferneres Bild. Dies geschieht alles innerhalb einer durchaus dekorativ gemeinten Bildauffassung, die date scheinbar belanglose, Beliebige der Motivwabl betont.

Peter Hock, 1990